Wir trauern um unsere ehemalige Kollegin, die jahrzehntelang an der Marienschule die Fächer Latein und Deutsch mit höchstem Einsatz unterrichtete.
Sie war in Breslau geboren, wurde durch ein gläubiges katholisches Elternhaus geprägt und gelangte nach der Vertreibung aus Schlesien im Frühjahr 1946 nach Ostwestfalen. Sie setzte ihre Schullaufbahn in der gerade in Bielefeld neu gegründeten Schule der Ursulinen durch Aufnahme in die Obertertia fort und machte hier im Februar 1951 das Abitur, es war die erste Reifeprüfung an dieser Schule in Bielefeld. Vom WS 1951/52 an studierte sie in Münster und München in kürzester Frist die Fächer Latein und Deutsch, absolvierte die Referendar-Ausbildung an der Marienschule in Warendorf und Bielefeld und konnte schon am 01.04.1959 an der Marienschule der Ursulinen mit Vollbeschäftigung angestellt werden. Bis 1963 unterrichte sie vorrangig die Förderklassen der Oberstufe mit sog. repatriierten Schülerinnen, deren Familien nach Adenauers Abkommen mit der Sowjetunion (1955) doch aus den ehemaligen deutschen Gebieten im neuen West-Polen ausreisen durften. Diesen Schülerinnen, die bis dahin ausschließlich in polnischer Sprache und polnischer Kultur unterrichtet worden waren, in drei Oberstufenjahren deutsche Sprache zu vermitteln und sie in deutsche Literatur einzuführen, erforderte außergewöhnlichen Einsatz und außergewöhnliches pädagogisches Geschick – diese Fähigkeit war in der Referendarausbildung nicht trainiert worden!
Frau Nieboj, sie war inzwischen zur Oberstudienrätin befördert worden, gehörte zu dem kleinen Lehrer-Team, das ab Herbst 1969 in kürzester Frist ein hauseigenes Konzept für die Reform der Oberstufe zur Genehmigung durch das KM erarbeitete – dieses Vorlauf-Modell war so überzeugend und erfolgreich, dass es zwei Jahre später in das allgemeine neue Oberstufen-System eingehen konnte.
Fast zeitgleich fand die Kulturpolitik in NRW es für notwendig, alle Latein-Lehrer für das Mangelfach Mathematik in einem 2-jährigen Schnellkurs in Mengenlehre (für die Orientierungsstufe des Gymnasiums) ausbilden zu lassen – in der Annahme, dass Latein infolge des 68er Konzeptes für Fremdsprachen verschwinden werde. Frau Nieboj absolvierte diese Ausbildung, machte die Abschluss-Prüfung an der Uni Bielefeld — und unterrichtete dieses Fach nie! Denn inzwischen war Latein ein so begehrtes Wahlpflichtfach geworden, dass dieses Fach im Nu ein vorrangiges Mangelfach wie Mathematik wurde. Tempora mutantur, quod res cum iis…
Beide Fächer unterrichtete Frau Nieboj in allen Jahrzehnten ihres Dienstes mit großer disziplinierter Intellektualität und pädagogischem Engagement. (Sie hatte in ihren Lehrerinnen M. Aquina und M. Irmgardis entsprechende Vorbilder erlebt). Dass der Erfolg des Unterrichts kausal auch mit der Kooperation der Lehrer zusammenhängt, wurde ihr bei der zunehmenden Veränderung des Verhaltens der Schüler klar bewusst – deshalb führte auf ihre Anregung hin die Latein-Fachschaft das kooperative Verfassen und Bewerten der Klassenarbeiten als Selbstverpflichtung aller Fachkollegen ein; für die Schüler war das eine zuverlässige Orientierung, Beschwerden über Zensuren wurden dadurch überflüssig.
Ihr Naturell war eher ruhig, blieb aber nicht lautlos, wenn Kritik oder Mut angebracht war. Bei einer frühen Reise nach Moskau und Leningrad brachte sie es fertig, der staatlich verordneten Reiseleiterin erfolgreich verständlich zu machen, dass sie an der Besichtigung der technischen Errungenschaften der Sowjetunion im All-Unions-Park nicht interessiert sei, aber unbedingt in der Tretjakow-Galerie die frühen weltberühmten Ikonen von Andrej Rublev betrachten wolle. Das Vorhaben gelang und wurde erstaunlicherweise nicht sanktioniert.
In den Jahren des Ruhestandes (ab 1991) wurde die Makula-Erkrankung für sie sehr belastend – sie konnte schließlich nicht mehr lesen. Am 01.04.2021 nahm der Allmächtige sie im Schlaf in Seine ewige Herrlichkeit. Wir behalten Frau Nieboj in sehr dankbarer Erinnerung.
Requiescat in pace.
Für den Konvent der Ursulinen
S. Carola Kahler OSU
Für die Marienschule
Günter Kunert