Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz von der Roten Armee befreit und seit 1996 ist dieser Tag als gesetzlich verankerter Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus festgelegt.

An der Marienschule ist es seit 1997 Tradition, an diesem Tag in St. Jodokus zu einem  Gottesdienst einzuladen, in dem der Leistungskurs Geschichte der Q2  an die die historischen Ereignisse erinnert und in Musik und Gebet der Opfer gedacht wird.

Das Thema des diesjährigen Gedenkgottesdienstes war: Opferkinder – Täterkinder im Schatten des Holocaust. Im Zentrum dieses Gottesdienstes stand die Frage, wie die Kinder der Opfer und Täter die Zeit des Nationalsozialismus erlebten und wie diese Zeit ihr Leben prägte. Die Schülerinnen und Schüler des Leistungskurses Q2 hatten sich in der Vorbereitung auf den Gottesdienst für dieses Thema entschieden.

Schulleiter Günter Kunert hob in seiner Begrüßung hervor, dass der Gedenktag für die Opfer das Nationalsozialismus ein bedeutsamer sei, denn er erinnere uns stets an unsere Verpflichtung, uns mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Kunert verwies auch auf die Auschwitz-Fachexkursion, die die Schülerinnen und Schüler des Leistungskurses unter Leitung ihres LK-Lehrers Marco Ehinger und der Begleitung von Katharina Hornjak vom 13.-16. Januar unternommen hatten. Eine Auseinandersetzung mit Auschwitz sei notwendig, um das Ausmaß des Holocaust zu begreifen und daraus Lehren für die eigene Positionierung in der Gesellschaft zu ziehen.

7 Schülerinnen und Schüler (Felicitas Strüwe, Max Keilich, Luisa Flegaric, Hendrik Elwenn, Alexander Teubert, Merit Busch und Patricia Schindéle) thematisierten in ihren Lesungen unterschiedliche Leidenswege von Opfer- und Täterkindern. Ein Text handelte von Fred White, der 1921 in Bielefeld geboren wurde und bereits 1937 in die USA floh, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 2003 lebte. In einem Brief an Schüler der Martin-Niemöller-Gesamtschule aus dem Jahr 1999 legte White seine Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus dar. Er habe Deutschland verlassen, da keine Zukunft mehr für Juden bestanden habe. Schnell sei ihm klargeworden, dass eine schnelle Auswanderung der einzige Weg sei, um sich den Unterdrückungen durch das nationalsozialistische Regime zu entziehen. Seine Familie habe er nie wiedergesehen. Am Ende seines Briefes kehrt White sein Motto in den Vordergrund: Man solle vergeben, jedoch niemals vergessen! Diese Worte verband er mit dem Wunsch für eine gute Zukunft und Hoffnung für die Welt.

Ein anderer Text thematisierte die Einschätzung von Edda Göring, der Tochter Hermann Görings, über den Nationalsozialismus und die Rolle ihres Vaters. Göring sagt, dass man von ihr keine distanzierte Beurteilung ihres Vaters erwarten könne, sie sei seine Tochter und liebe ihn. Sie lebe im festen Glauben, ihr Vater habe stets das Beste für Deutschland gewollt, habe sich aber in seiner Treue den Wünschen Hitlers ergeben, mit dem er nicht immer einer Meinung gewesen sei. Edda Göring merkt ebenso an, dass es wahrscheinlich erst einer späteren Generation möglich sei abseits von Emotionen zu urteilen. Sie selbst fühle sich ihren beiden Eltern bis heute mit großer Liebe verbunden.

In den Lesungen wurde auch deutlich, dass nicht alle Täterkinder derart gnädig mit ihren Eltern verfahren wie Edda Göring. Niklas Frank, der Sohn des NS-Politikers Hans Frank, verurteilt seinen Vater auf ganzer Linie und findet nicht ein gnädiges Wort. Niklas Frank sagte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, dass er seit vierzig Jahren ein Foto seines gehenkten Vaters bei sich trage, um stets sicher zu gehen, dass er tot sei. Beim Erhalt der Nachricht, dass sein Vater am Strang gestorben sei, habe er kein Mitleid empfunden.

Manfred Sewekow, ehemaliger Lehrer an der Marienschule und verantwortlich für das Konzept des Gedenkgottesdienst, ging in seiner Ansprache  auf die komplexe Lebenssituation der Nachkriegsgenerationen zwischen Schweigen und Erinnern und auf die  derzeitige politische Lage in unserer Gesellschaft ein. Antisemitismus und rechte Tendenzen seien noch lange nicht überwunden, wie die Äußerung des AfD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland, dass Hitler und die Nationalsozialisten „nur ein Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte seien, zeige. Sewekow mahnte an, im Erinnern nicht nachzulassen. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus sei auch in der Gegenwart notwendig und dürfe niemals enden , denn – wie Primo Levi einst zu Recht sagte –  „es ist passiert, und folglich kann es wieder passieren“.

Die geistliche Dimension des Gottesdienstes wurde wie immer deutlich im Eingangslied, in der Orgelmusik und in den ausgewählten Stücken, die das  Vokalensemble vortrug (alles in der Verantwortung von Schulleiter Günter Kunert, der eine Orgelimprovisation von „Dos Kelbl“ (Donna Donna) spielte), sowie in den abschließenden Fürbitten, die von der Lehrerin Hildegard Funhoff gelesen wurden.

Vielen Dank an alle Beteiligten, die diesen Gedenkgottesdienst möglich gemacht haben!

Von Published On: 13. Februar 2019Kategorien: ErinnerungskulturSchlagwörter: ,